Zu der Strecke muss ich euch als Leser meiner Berichte nicht mehr viel sagen – ihr kennt die Strecken ja genau so gut wie ich mittlerweile.
Nach einem für mich passablen Schwimmen ging es wie immer Richtung Gotthard. Aber irgendwo ab km 70 spielte der Kopf nicht mehr mit, bis dann an der Motto Bartolo ich so weit war, dass ich aufhören wollte. Alex wollte davon nichts hören, redete auf mich ein wie auf ein krankes Pferd, dass ich nun locker die Tremola hoch rollen solle und ich konnte Rotz und Wasser heulend nur sagen, dass locker und Tremola irgendwie nicht zueinander passten…nun ja, Ende vom Lied war, dass ich mit der Wasserspritze nochmal abgekühlt wurde und dann losgeschickt wurde. Oben auf dem Gotthard, nach gefühlter Ewigkeit, wartete Alex mit der versprochenen Cola, ich zog die Weste an und rollte runter – ich wollte immerhin noch die Passabfahrt mitnehmen, so quasi als Belohnung. Aber dann in Realp wirklich aufhören. Pustekuchen, wie ihr wisst, Alex nahm meine Weste entgegen und sagte, dass es nun auf den Furka ginge. Heulen half ja nicht mehr, also fahren. Wie Dominik und ich mal wieder feststellten: trotz aller Befahrungen wird das Ding nicht niedriger. Aufgrund des Wetters war viel Verkehr auf den Pässen, die englische Spaßrallye mit ihren verkleideten Autos, Motorräder und irgendwelche Porscheclubs. Es war nicht ungefährlich und so manches Mal wünschte ich mir das Wetter vom Vorjahr, als wir so viel entspannter die Berge fahren konnten. Nun ja, oben auf dem Furka hatte ich zwar nicht unbedingt mehr Lust als vorher aber für mich entschieden, dass ich den Radpart auf jeden Fall beenden würde. Also, runter in die Abfahrt, dieses Mal sogar ohne Weste. Dann die kurzen 5km den wolkenverhangenen Grimsel rauf und oben meinte ich zu Alex, dass ich gerne die Weste hätte. Er sagte, dass er noch viel mehr für mich habe, denn unten in der Abfahrt sei ein Unfall passiert und er wüsste nicht, wann und ob er da durch käme. Deshalb gäbe er mir gleich die Laufschuhe mit. Die ich natürlich nicht haben wollte, weil ich ja…ach, egal.
Runter in die Abfahrt und nach 13, 14 km kam es zum ersten Rückstau. Die anderen Teilnehmer und ich fuhren bis an die Spitze vom Stau vor und sahen, dass zwei Motorräder dort lagen. Die Polizistin gab uns Auskunft, dass 2km weiter unten im Tunnel ein tragischer Unfall passiert sei. Wir Radfahrer warteten, fragen, ob wir nicht ggf durch könnten und sie sprach mit ihrem Kollegen an der anderen Unfallstelle, der sein ok gab, dass wir durch dürften, sofern wir die Räder im Tunnel schöben. Also rollen wir ganz locker runter, kommen in den nächsten Rückstau, in dem Simone steht. Sie sieht mich kommen und drückt mir die Schuhe von Felix in die Hand, damit der in Brienz nun auch endlich loslaufen könne.
Wir kommen zum Tunnel , steigen alle ab und schieben durch – es ist fürchterlich! Unter einem weißen Tuch liegt ein Radfahrer auf der linken Straßenseite, das Rad steht daneben, viel Blut ist bis auf die andere Straßenseite, wo wir lang gehen, geflossen. Was mache ich hier? Ich hatte vorher einen Bekannten aus einem Triathlon-Forum getroffen, mit dem ich ab nach dem Tunnel bis Brienz zusammen fahre. Die Zeit ist nach dem gesehenen völlig unwichtig geworden.
Wir kommen in die Wechselzone, wo Felix mit Rally (seinem eingeplanten Laufsupporter) und Dominik (in viel zu kleinen Schuhen von Rally geliehen, aber seine Frau Melanie steht noch im Stau) auf mich warten. Ich mache mich fertig, nehme alles an Essen, was ich dabei habe, mit (wer weiß, wann Alex kommt) und wir wandern los. Durch die Gießbachfälle und ich bin unendlich dankbar, dass wir gemeinsam loslaufen konnten. Wir versorgen uns gegenseitig mit Motivation und irgendwann fangen wir an zu traben – immer wieder unterbrochen von Anrufen unserer Supporter, hinter-die-Büsche-verschwinden und unentschuldigten Gehpausen. Wir haben es nicht eilig. Manchmal scheint die Sonne, warm ist es auf jeden Fall.
Simone, Melanie und Alex haben eine astreine Dreieckskommunikation hinbekommen, so dass Simone, die als erste durch den Stau ist, in der Wechselzone nicht nur das Gepäck von Rally mitnimmt, sondern auch noch gleich mein Rad, damit Alex nicht mehr extra dort vorbei fahren muss. Der wiederum bekam von Melanie das zweite Paar Laufschuhe für Dominik, falls er ihn früher wiedersähe als sie. Alex fährt dann direkt nach Iseltwald durch und holt uns kurz nach Böningen mit dem Rad ein. Endlich kann Dominik die Schuhe wechseln und seine schon blasengeplagten Füße entlasten. Wir traben weiter, wobei Dominik, Alex und ich uns ein bisschen von Felix und Rally lösen. Warm ist es, so dass wir an jedem Brunnen auf dem Weg zwecks Kühlung anhalten. Melanie trifft uns in Wilderswil und wir sind alle froh, dass nun auch unsere Supporter wieder auf der Strecke sind.
Am letzten Kontrollpunkt trennen wir uns dann. Felix war ohnehin schon ein bisschen hinter uns und Dominik schickt Alex und mich den Berg hoch – er geht mit Melanie (unter anderem durch einen Hungerast später). Alex und ich kampfwandern die letzten 10 Kilometer zur Kleinen Scheidegg. Wir überholen noch einige Athleten und deren Begleitung, während die Sonne hinter den Bergen untergeht. Die kleine Scheidegg hängt in den Wolken und somit sehen wir nicht, wie weit es noch ist. Bei 16 Stunden 40 Minuten ist mein Garmin wirklich komplett leer und macht sich selber aus. Aber es kann nicht mehr weit sein. Da endlich, der letzte Hubbel und ich bin im Ziel! Dieses Mal hat es ja immerhin genau 17 Stunden gedauert.
Leider verpassen wir die Bahn und müssen fast eine Stunde warten. Dann geht aber alles ganz schnell – zusammen fahren Alex und ich mit Simones Bus nach Iseltwald und holen den unsrigen. Auf dem Rückweg an der Bahnstation sammeln wir Simone, Felix und Rally ein und fahren rüber zum Campingplatz. 24 Stunden nach dem Wecker klingeln machen wir das Licht aus.