2 Uhr morgens klingelte der Wecker am Samstag Morgen. Wie immer gab es das übliche Prozedere: Espresso machen, Startershake, Brot schmieren, Räder einpacken und zusammen mit Felix und Simone schlichen wir vom Campingplatz. In Ascona am Schwimmbad angekommen war der Checkin schon in vollem Gang und ich richtete mich häuslich ein. Dann wanderten wir zu viert rüber zum Bootsanleger, zogen die Neos an, checkten ein und Felix und ich verabschiedeten uns von unseren Edel-Supportern. Die Spannung war greifbar. Am Steg der Brissago-Inseln angekommen verließen wir das Boot und schwammen zur Startlinie.
Und dann begann das erste Drama des Tages: das Schwimmen. ich kam gut vom Start weg und schwamm meinen Stiefel. Aber das Wasser war kabbelig und es gab auch eine Strömung und mein Eindruck, dass ich nicht vorwärts käme, täuschte nicht. Nach 1:24 stieg ich aus dem Wasser. Mehr muss ich dazu nicht schreiben. Auf dem Weg zum Rad stolperte und fiel ich noch hin und stieß mir dabei am rechten Fuß einen Zeh. Aber ich machte mir keine weiteren Gedanken darüber.
Am Rad dauerte das Anziehen einen Moment länger – angesichts der Wettervorhersage mit Schnee, Regen, Wind und Temperaturen um den Nullpunkt wollte ich vorbereitet sein mit Trikot, Armlingen, Knielingen und Weste. Aber bis Airolo blieb die Strecke komplett trocken, auch wenn ab Kilometer 50 der Gegenwind immer mehr wurde. Und im Passanstieg fing es an zu regnen, wie vorhergesagt. Je weiter wir nach oben kamen, umso kälter wurde es (was eine Überraschung). Und oben auf dem Gotthard regnete und windete es…Alex stand schon bereit, lotste mich zum Camper, an dem ich mir Regenhose, Regenjacke, Mütze und Handschuhe anzog, er gab mir noch eine Flasche mit warmen Iso und ich “freute” mich auf die Abfahrt. Und dann kam noch Eisregen dazu und peelte mir die ersten Schicht an Hautschüppchen aus dem Gesicht. In Hospental angekommen nahm ich am Kreisvekehr die zweite Ausfahrt und rollte mit Rückenwind nach Realp, wo der Furkapass wartete. Dort begann mein zweites Drama des Tages.
Aber zunächst rollte ich die ersten Kilometer halb im Regen, halb im trocknen den Furkapass rauf. Ab Kilometer 6 oder 7 verschwand dann das Umfeld in dichtem Nebel. Zum Glück gab es die Kilometermarkierungen auf der Straße, denn man konnte die Passhöhe nicht erahnen. Und ich dachte darüber nach, dass das alles gerade so gar keinen Spaß machte. Autos kamen Geistern gleich aus dem Nebel und verschwanden wieder. Und ich war für jede Kilometermarkierung dankbar. Endlich war ich oben, Alex reichte mir wieder was zu essen, Simone stand auch dort und feuerte mich an und dann ging es mit Gegenwind und Peeling-Eisregen für die Entfernung der zweiten Schicht an Hautschüppchen Richtung Gletsch. Es war kalt, ich mochte nicht mehr und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich noch einen Marathon laufen sollte. Nun ja, in Gletsch ging es dann wieder rauf. Die letzte Passhöhe des Tages. In der einen Kurve wird schon seit Jahren gebaut und gefühlt kommt man dort nicht weiter. An der Ampel sammelten sich dann wieder meine Mitfahrer, grün, es ging weiter. In der folgenden Kurve stand Alex und ich stieg ab! Sagte, ich wollte nicht mehr und heulte rum. Der Wissende erkennt natürlich den Hungerast, ich sah ihn nicht. Alex tat dann das einzig richtige: erst nahm er mich in den Arm, sagte, dass alles ok sei, dann füllte er mir Cola in eine Trinkflasche und anschließend gab‘s den Tritt in den Hintern, die Flasche bis zu Passhöhe ausgetrunken zu haben. Hatte ich eine Wahl? Nein. Also, machen, was der Mann sagte. Cola ist ein Zaubergetränk, ich sag es euch. Auf der Passhöhe schien zumindest in meinem Gemüt schon wieder die Sonne, die Frage, ob ich noch einen Marathon laufen wollte, stellte sich schon längst nicht mehr und ich schob mir kontinuierlich Essen rein. Dann ging es das letzte Mal durch Eisregen (für die allerletzten Hautschüppchen), der sich im Laufe der Abfahrt in Regen verwandelte, und Gegenwind in die letzte Abfahrt. Die Durchfahrten der Tunnel sind nach wie vor ein ganz persönliches Highlight! Alex steht an der letzten Steigung beim Radfahren, drückt mir nochmal Gel in die Hand und rast vor Richtung Wechselzone. Ich kaue, schlucke und fahre die letzten 30 Kilometer. Es ist schon fast trocken, aber als ich in die Wechselzone komme, fängt es wieder an zu tropfen.
Erst einmal: Dixie! Danach geht’s mir besser. Da für die Laufstrecke Regen und später wieder kalt angesagt ist, ziehe ich die Weste vom Rad fahren wieder an und lasse die Mütze auch gleich auf. Alex schickt mich los und ich laufe Richtung Giesbachfälle (die nachts beleuchtet sind) los. Da ich weiß, dass dort noch eine offizielle Verpflegungsstation ist, drücke ich mir zwei Gels rein und lasse meinen Müll direkt dort bei den Jungs. Ich laufe weiter durch den Wald, Alex kommt mit dem Rad und dem Rucksack, mit allem bepackt für den Rest des Tages. Zum Glück bleibt es trocken. Ich schlappe die bekannte Strecke, durch die kleinen Dörfer und es wird sogar so warm, dass ich mich über die Brunnen freue, in die ich meine Hände zum Erfrischen halten kann. Ab dem Halbmarathon sehen wir auch wieder mehr Läufer vor uns, die wir anfeuern und dann hinter uns lassen. Aber mein rechtes Knie zeigt wieder Überlastungserscheinungen, die ich dieses Mal ignoriere und mein Zeh, den ich mir beim Schwimmausstieg stieß meldet sich auch immer mal wieder. Aber egal. Kurz vor Grindelwald fährt Alex vor, um die Rucksäcke checken zu lassen. Ich komme an den Checkpoint, Alex wartet schon und dann geht es wieder einmal den senkrechten Wanderweg rauf. Noch immer ist es trocken und die letzten 10km wollen gelaufen werden. Auf den Abschnitten, an denen es nur „halb senkrecht“ rauf geht, laufen wir. Da kommt Alpiglen. Ich greife dankbar nach den angebotenen Salzstangen und wir traben weiter. Noch 4 Kilometer. Knapp hinter uns ist ein französischer Athlet mit seinem Supporter. Letzterer redet die die ganze Zeit und ich schaue, dass wir davon kommen. Was aber nicht so richtig klappen will. Also, hören wir weiter auf Französisch die Peitsche schwingen. Dann endlich der letzte Hügel auf der Kleinen Scheidegg und wir laufen durch das Banner-Spalier. Wie immer steht Beat von der Orga dort und nimmt mich in die Arme und muss mich dieses Mal auch festhalten. Ich habe keine Kraft mehr zu stehen in den Beinen.Dann geht wie immer alles ganz schnell: Alex holt den schon vorab hochtransportierten Rucksack mit unseren Wechselklamotten und wir ziehen uns im beheizten Sanitäterzelt um. Es gibt noch ein schönes Zielphoto mit uns beiden und Alex treibt mich, dass wir die nächste Bahn nach Grindelwald erreichen. Wir schaffen es! Unten angekommen schnappt er sich das Rad und fährt die Laufstrecke zurück, um den Camper zu holen. Ich wandere in der Zwischenzeit zum Campingplatz und organisiere uns und Felix und Simone einen Stellplatz für die Nacht. Im Restaurant warte ich auf Alex, treffe den Zweitplatzierten, quatsche mit ihm, und schlafe dann einfach ein.Gegen halb 12 ist Alex wieder zurück, wir räumen den Bus aus und ich geh endlich duschen. Und sehe meinen Zeh: innerlich blutigrot und er tut auch richtig weh. Hmm, vermutlich war es nicht so gut, damit noch einen Marathon gelaufen zu sein. Gegen 1 Uhr sind wir dann endlich im Bett, der längste Tage des Jahres ist nach 23 Stunden vorbei.